Montag, 16. Mai 2011

Im Kreis

Das Labyrinth lässt sich auf der Insel Werd bei Eschenz (CH) erfahren!


Und plötzlich war da nur noch Stille…. 


Vorher hatte ich mich inmitten einer Menschenmenge auf einem Spazierweg am See befunden. Aus dem allgemeinen Trubel war ich entkommen, ich hatte mich in einen kleinen Park hinein gewagt, dessen eisernes Tor leicht offen stand.  Der Lärm des Menschentrubels verlor sich in der meterhohen Lebensbaumhecke.

Nun stand ich auf einem kleinen Kiesweg und schaute mich um. Das Ganze sah recht privat aus, doch die Ruhe war so wohltuend, dass ich einfach stehenblieb und erst einmal tief durchatmete. Es war eine gepflegte Wildnis aus hohen Parkbäumen, Rasen und Wiesenflächen mit einigen Obstbäumen. Alles stand in jetzt voller Blüte. In der grünschattigen Tiefe entdeckte ich eine spiralige Figur im Rasen, es schien eine Art Weg zu sein. Neugierig ging ich näher.

Es war ein grosses Labyrinth, die Pfade waren aus hellem Kalksplitt in den Rasen gezogen. Es sah übersichtlich und leicht aus. Da waren keine hohen Hecken oder Maisstauden, da waren nur schmale Wege in niedrig gemähtem Rasen!

Ich begann, die erste Runde zu ziehen und lief das erste Viertel des Kreises ab. Bald würde ich in der Mitte sein! So dachte ich mir. Doch unversehens zog der Weg nun eine enge Kurve und führte mich in die Richtung zurück, aus der ich eben gekommen war. Verblüfft und frustriert schaute ich mich um. Es war ganz anders als ich gedacht hatte! Da war kein schnelles Ankommen drin. Jede einzelne der Kiesschlaufen musste ich entlanggehen, wenn ich die Mitte des kreisförmigen Labyrinthes erreichen wollte. Es gab zwar keine Sackgassen jedoch auch keinerlei Abkürzungen!

Das war mühsam, am liebsten wäre ich davongelaufen! Meine Lust auf Meditation war schon verflogen. Ich musste schmunzeln, war es nicht auch im Leben so? Dass ich immer möglichst schnell ankommen wollte, statt dass ich mir Zeit nahm und ich dann unversehens länger brauchte? Der Weg führt mich in die Nähe der Mitte, dann wieder nach aussen. Das Leben kannte keine Abkürzungen und dennoch gab es keinen gradlinigen Pfad. Diese geheimnisvollen Gedanken und Empfindungen beschäftigten mich auf dem weiteren Weg. Wer hatte wohl diese Figur ersonnen? Ich staunte, wie dieser äussere Weg mir zu einem inneren Weg wurde. Den Weg überschaut man im Leben nicht während dem Gehen, er führt in Windungen und Wendungen, vor und zurück, in Spiralen um eine Mitte …

Unzählige Meter später stand ich in der Mitte des Labyrinthes!

Nun würde ich schnell wieder draussen sein, dachte ich, denn der Ausgang lag mir ja vor Augen. Ich machte also kehrt und stand wieder verwirrt da! Es gab gar keinen Ausgang!  Der Weg den ich hinein genommen hatte, war auch der Weg, der mich wieder hinausführen würde …



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Diese Kurzgeschichte schrieb ich für die Aktion "Die Flotte Feder" von Follygirl … Zu einem vorgegeben Anfangssatz können alle die Lust haben, eine eigene Geschichte schreiben. An jedem 15. eines Monats wird sie online gestellt und es gibt Kurzgeschichten-Frischfutter. Hier gehts lang zur Aktion und den weiteren Beiträgen:  Petras Reserve Blog

6 Kommentare:

  1. Och wie schön... diese Geschichte gefällt mir ganz besonders!
    Freue mich, das Du auch mitgemacht hast. DANKE!
    Liebe Grüße, Petra

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  2. Ja der Ausgang ist nicht immer da wo man ihn vermutet

    Schöne Geschichte, gefällt mir sehr gut

    Liebe Grüsse
    Brigitte

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  3. ich habe vor etwa 2 jahren einen workshop über labyrinthe und wie man sie anlegt gemacht (hier in gmunden). der war sehr toll und die erfahrungen aus dem begehen des labyrinths waren sehr ähnlich. eine tolle geschichte!
    liebe grüße vom see,
    karin

    PS: ich komme öfter bei dir vorbei, - schaue und lese gerne, auch wenn ich wenig kommentiere...
    danke für deine besuche in meinem blog!

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  4. @petra
    danke dir, dass du dieses schreibevent überhaupt kreiert hast!

    @brigitte; danke, werde deine geschichte auch noch lesen gehen!

    @schwemmholz
    ich hätte nie geglaubt, dass ein simples labyrinth so eine kraft hat! danke fürs bei-mir-lesen.. es ist schön, ab und an ein echo zu bekommen :)

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  5. Das ist eine wunderbare Geschichte mit einem tieferen Sinn. Sie gefällt mir von allen Mai Geschichten in Petra's Schreibprojekt am besten.

    Wirklich gelungen.

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  6. @chinomso
    Danke, das Lob ehrt mich!

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