Donnerstag, 5. Januar 2012

Temple Grandin und ich


Die amerikanische Autistin Temple Grandin begegnete mir zum ersten Mal in Oliver Sacks Buch "Eine Anthropologin auf dem Mars". Eine Frau die genau fühlen kann, was Kühe fühlen - aber sich unter den Menschen lange völlig fremd gefühlt hat. Sie fühle sich wie eine Anthropolgin auf dem Mars, so drückte sie sich Sacks gegenüber aus und so kam es zu dem seltsamen Buchtitel!

Vor kurzem sah ich die Verfilmung ihrer Biografie im Fernsehen, mit Clare Danes in der Hauptrolle. Ich habe Rotz und Wasser geheult! So sehr hat mich ihre Geschichte erneut berührt. Bis zu ihrem vierten Lebensjahr hat Temple nicht gesprochen. Die Diagnose, dass ihr Kind leider unheilbar behindert sei, liess Temples Mutter jedoch nicht gelten und gaben sie auch nicht, wie ihnen von Ärzten nahegelegt wurde, in ein Heim. Durch liebevolle Förderung, Bestärkung und Begleitung durch die Mutter und andere wohlmeinende Menschen konnte Temple im Leben Fuss fassen und lernte das Sprechen und noch viel mehr: Temple besuchte, trotz Widrigkeiten, verschiedene Privatschulen und bekam so auch eine gute Ausbildung! In der Darstellung im Film erschien sie mir kämpferisch, willensstark und selbstbewusst - und das ist sie sicher auch in echt. Heute ist heute Professorin für Tierwissenschaften!

Was mich mit ihr verbindet ist, das (oft) Unverstandensein und das Fremdsein in einer Gruppe von Menschen, da erinnere ich mich vor allem an meine Schulzeit. Es war furchtbar. Zuviel, zu laut, zu hektisch. Das Lernen lag mir, doch die Menschen waren mir viel zuviel. In manchem verstand ich sie einfach nicht. Wenn ich zurückdenke, war der Start meiner Schulzeit auch der Beginn meines Tauchgangs in meine völlig eigene Welt ... und ich befinde mich heute immer noch auf dem Rückweg!

Wobei ich sagen muss, dass ich nicht Autistin bin, sondern einfach "nur" hochsensibel und manches eben genau so erlebe - wie Autisten es schildern. Vor allem was die Reizempfindlichkeit angeht: Lärm, Hektik oder Menschen die alle gleichzeitig und durcheinander reden.. so etwas bringt mich schnell an die Grenzen des Erträglichen. ich will dann nur noch weg und meine Ruhe haben, irgendwohin wo keine Menschen um mich sind. Das ist heute noch so. Gleichzeitig geniesse ich den Kontakt mit anderen Menschen, bei der Arbeit und auch sonst. Doch wenn sie in Gruppen auftreten, wird es mir zuviel!

Deshalb war dieser Film für mich eine Art Zeitreise durch meine eigene Geschichte und eine Bestätigung, dass es ganz indiviuelle Arten gibt, das Leben zu erfahren, auch sinnlich. Wenn man davon ausgeht, dass wirklich 15% aller Menschen hochsensibel sind, so wie es Elaine N. Aron schreibt, dann frage ich mich, wo die alle stecken? Und ich halte mich an Beispiele wie Temple Grandin, wenn mir mal wieder der Mut abhanden kommt und ich das Gefühl bekomme, völlig fremd zu sein und befürchte, dass meine Welt den anderen immer unverständlich bleiben wird.

Es braucht Mut, vom Mars eine Botschaft an die Erde zu senden! Doch manchmal stehen die irdischen Antennen sogar auf Empfang ... und irgendwann könn(t)en in Utopia alle Menschen ein menschenwürdiges und erfülltes Leben führen, weil sie einfach sich selbst sein dürfen. 


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Ein Interview mit Grandin:
http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/34790

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