Freitag, 31. März 2023

Queer sein auf dem Dorf

Ich merke, dass die Religion mich stärker geprägt hat, als ich wahrhaben wollte. Im Sinne von "mich falsch fühlen". Momentan bin ich wieder ab und zu in einem Umfeld unterwegs, in der es mehr gläubige ChristInnen und traditionelle Rollenverständnisse gibt. Mich stresst das. Nach meinem Coming-Out als queerer Mensch fühle ich mich noch mehr als Störfaktor oder als Unikum. 

Da ich dort auch andere Menschen finde, die mich interessieren, beobachte ich das mal behutsam. Wieso fokussiere ich mich gleich wieder auf die Extremen, muss ich mich mit allen verstehen? Es hat mich noch niemand direkt konfrontiert und wenn, dann hätte die Predigerstochter in mir doch jede Menge an passenden Bibelstellen parat was Jesus wirklich gelebt hat. Da muss ich innerlich lachen ... 

Wieso Fronten auffahren wo gar keine sind? Oder: Wieso mich verkriechen? Ist das liebevoll? Es reicht, wenn ich zu mir stehe.

Wenn ich es als soziales Experiment für meine eigene Toleranz, Freundlichkeit, Grosszügigkeit und persönliche Standhaftigkeit ansehe, muss ich sagen: Challenge accepted!

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Nachtrag 1.4.
Es läuft gut. Ich merke, dass ich akzeptiert werde. Wenn ich meine alten Schutzmechanismen überwinde und zu meiner Stärke und Einzigartigkeit stehe.

Mir selber nahesein

 ... aus dem Schutzpanzer zu kriechen, den ich mir jahrelang angepasst habe, und dem ich mich dann angepasst habe, stellt sich als langwierig und stellenweise schwierig und schwer heraus. Ich könnte mich weiter vor dem Leben verstecken. Doch der Panzer bröckelt, engt mich ein. 

Sogar mich selbst, wage ich zu umarmen, ich pirsche ich mich an mich selbst heran, mache mir Komplimente. Bewundere im Spiegel die Muskeln, die ich durch die körperliche Arbeit angesetzt habe. Meine Lebensgefährtin grinst, wenn sie mich dabei erwischt. Und dabei Kokettiere ich mit ihr: Gefalle ich dir denn? Manchmal fühle ich mich wie ein Teenager und manchmal als die Frau von Mitte Vierzig, die ich laut Zahlen bin. Und ich will einfach Mensch sein, ausserhalb von Schubladen. Ich werde geliebt. Ich werde gebraucht. Und ich wage zu lieben und ich brauche andere auch. Besonders sie.

Ich komme dem Fühlen wieder näher. Nachdem ich jetzt länger im persönlichen gefühlsmässigen Lockdown verbracht habe. Ich bin einer Abwärtsspirale bis auf den Bodensatz gefolgt. Ich ertrage die Enge meiner Abwehrmechanismen nicht mehr und verzweifle dann doch wieder am Gefühl des Ausgeliefertseins wenn ich mich aus dem Kokon gewunden habe. Wenn sich viele Gefühle bewegen, ist das gut und doch auch "gefährlich" nach alter Wahrnehmung. Es braucht Geduld. Von mir und von den mich umgebenden Menschen. 

Bewegung ist da. Therapien sind auch nicht alles. Wozu noch? Es ist ja alles da! Ich wage mein Leben. Für jemanden, der gerne und viel denkt und sich Systeme zu eigen macht, kann der Schuss in der Therapie auch nach hinten losgehen. Ich weiss inzwischen zu viel. Ich kann alles im Kopf lösen. Vermeintlich. Mich für unerwünschte Gefühle und Empfindungen zu bestrafen, das kann ich auch. Das hat keine Therapie mir nehmen können. Ich habe es perfektioniert, über Gefühle nachzudenken, statt sie zuzulassen.  

Wohltuender sind Körperbehandlungen, ein Spaziergang, ein gutes Gespräch. Druck loslassen geht im Schreiben und im Reden. 

Der Lebensschmerz wird weniger, indem ich mich an jedem neuen Tag den Herausforderungen stelle. Ich habe einen Platz auf dieser Welt und Menschen, die mir nahe sein wollen. Dem Leben kann ich mich nur mit Leben stellen, wie ich merke. Ich wage es.

Sonntag, 5. März 2023

Grundbedürfnisse, Erfolg und das Leben

(überarbeitet)

Die Pandemie hat mir geholfen, einen klareren Blick auf meine Mitwelt und mich selbst und mein Leben zu bekommen. Trau, schau wem. Wofür stehe ich? Was ist mir wichtig? Mit wem verbringe ich meine Zeit? Auf welche Meinungen lasse ich mich ein? Wovon und von wem wieviel? 

Ich halte mich von den Extremen fern und meist auch von Gruppen. Obwohl mein Leben wohl einigen Menschen auf diese Art auch recht extrem erscheinen mag, ist auch das okay. Ich fühle mich weitaus sicherer mit meiner Einstellung heute als noch vor ein paar Jahren. Auch wenn ich nur noch wenige, dafür intensive Kontakte mit anderen richtig pflege. Es hat sich sortiert für mich. Gerade brauch ich das so, eher zurückgezogen zu leben. 

Gestern sprach ich mit meiner Lebensgefährtin über eine Episode, die sie erlebt hat auf der Weiterbildung (Psychologische Beraterin). Es ging um die Grundbedürfnisse. Was ist das Allerwichtigste im Leben? Gesundheit. Lautete die allgemeine Antwort. Da gab sie Kontra. Heisst dass, wenn jemand mit einer chronischen Krankheit lebt, dass dieses Leben dann weniger wert oder weniger lebenswert ist? Den genauen Wortlaut weiss ich nicht mehr, aber die Tendenz ist klar. Und ich bin froh dass sie widersprochen hat.

Mich erinnert dies auch an diese "positive Psychologie" bei der alles weichgespült wird, bei der nichts Ecken und Kanten haben darf, alles okey dokey ist. Menschliche Allmachtsfantasien. Gerne in Zusammenhang mit Multilevel Marketing (da hatte ich kürzlich eine Begegnung), dem "mühelosen" Geldgewinnen oder der New Economy. Spielen, bei denen am Ende dann doch nicht alle gewinnen. Denn der soziale Kitt und die Empathie sind am Ende nicht wesentlich, sondern dass der Geldfluss stimmt. 

Es mag eine Behauptung sein, aber beweist mir das Gegenteil: In dieser Denkweise (und generell) wird Erfolg häufig gemessen an äusseren Werten, am Auftreten und Aussehen, an einer geregelten Arbeit, an Wohlstand und körperlicher und seelischer "Gesundheit". Und viele träumen dennoch (oder deswegen?) vom Ausbrechen aus diesen Strukturen.

Ich hatte immer schon den Drang in mir, ein anderes Leben zu führen. Schlussendlich habe ich eingespurt. Aber 2020 wieder das Gleis verlassen, weil der Frust zu gross war. Seither probiere ich aus! Nonstop ... Ich habe es gewagt, auszubrechen und ich lebe meist bescheiden, finanziell gesehen. Ich wage es. Es ist meine Entscheidung und keine von aussen eingetroffene Notlage.

Das führt mich zum nächsten Begriff. Sicherheit. Ist auch so ein Parameter. Wobei Sicherheit (als etwas von aussen Kommendes und als stabiler Zustand) meines Erachtens nach immer nur ein Trugschluss ist. Das Leben auf diesem PLANETEN ist anders. Und sicher nicht polar. Und es ist für alle anders. Ich gehe nicht in deinen Schuhen und du nicht in meinen. Leben, ohne zu werten (da übe ich sehr). Beweglich bleiben!

Es ist bunt, lebendig, das Leben, es ist voller Schattierungen und es ist bisweilen einfach hart, brutal und tut weh. Mag pessimistisch klingen, ist aber ein Fakt. Mir kommt ein Song von Flogging Molly in den Sinn, eine Band die ich gerne höre: Life`s good. Wir werden alle sterben. Irgendwann. Das kann Lust aufs Leben machen.  Ich hatte diesen Satz plötzlich in meinem Kopf: 

Wenns keine Sicherheiten gibt, kann ich eigentlich auch entspannen!

Es ist wie es ist. Aber es wird, wie ich es nehme und was ich daraus mache.


Notizen im März 2o23 --- Anders oder einfach: Ich sein?!

Ein ruhiger Sonntag zuhause. Meine Lebensgefährtin hat Weiterbildung. Ich hab einen Pfannkuchenteig vorbereitet, den ich noch ruhen lasse und freue mich jetzt auf Apfelpfannkuchen. In meinem Kopf schwirren mögliche To Do's, doch einfach mal hängen, wäre auch was. Innerlich zur Ruhe zu kommen, ist schwierig für mich. 

Vorletzte Nacht hab ich in meinem kleinen Nebenjob gearbeitet, als Nachtwache für einen Teenager mit Muskelschwäche. Es war meine zweite Nacht. Das sind etwa 2 bis 3x ein Einsatz im Monat, es gibt etwa 150 CHF pro Nacht. Mehr Einsätze ginge auch, ist mir aber too much. Eigentlich wäre es eine Schlafwache, ich müsste nur dann aufstehen, wenn er mich braucht (neu Lagern, andere Bettdecke, Pinkeln, was Trinken). Zu Schlaf bin ich nicht wirklich gekommen, immer mit einem Ohr wach. Gestern dann einen heftigen "Kater" von der unruhig verbrachten Nacht inklusive Kopfschmerzen. Mal sehen, ob ich da noch reinkomme. Es ist etwas ganz Neues für mich und mein Organismus schätzt es nicht besonders. Aber ich suche auch nicht eine Komfortzone sondern neue Wege. Am Tag danach darf ich mir einfach besonders gut schauen und dieses DÜRFEN kann eine Chance sein.

Gestern Nachmittag ein Coaching mit einer coolen Frau, deren Arbeit ich schätze. Meine Mattscheibe hat eher geholfen, mehr im Gefühl zu sein und weniger im Verstand. Die Coachings finden draussen in der Natur statt. Und ich gönne mir dies ab und zu, ich konnte mit ihr einen Tarif ausmachen, den ich bezahlen kann. Wenn ich den Eindruck habe, dass ich weiter gekommen bin und ich einen Ansatz brauche, um noch weiter zu kommen, gehe ich zu ihr. Sie hat Ansätze aus dem Schamanismus und aus systemischen Therapien und sie ist authentisch. Das Naturbezogene und ihre Echtheit, die brauche ich. Nichts Akademisches, nichts Starres, Wahrgenommen-Werden als Anne. Da-sein, bewusst werden, leben.

Eine mögliche ADHS Diagnose stand auch noch im Raum, ich sehe mich schon in diesem "neurodiversen" Spektrum. Dass ich im Oberstübchen und auch sonst anders verkabelt bin als die Mehrheit, ist eigentlich schon lange klar :) Brauch ich deshalb mit Mitte 40 nun eine Strassenkarte die mir jemand aushändigt? Die mich einordnet oder einnordet, irgendwo zwischen A wie Asperger oder ADHS und Z wie Zwangsstörung? Was bringts mir, wenn ich es weiss? Brauche ich dazu eine medizinische Untersuchung, hab ich nicht schon genug davon gehabt in meinem Leben? ExpertInnen, Diagnosen, Fokus auf meine Schwächen und Besonderheiten. Ausser dass ich dazu Geld investieren muss, das ich nicht habe -- würde mein Hirn nicht noch mehr Futter haben um im roten Bereich zu drehen?

Den Impuls, wieder eine Psychotherapie anzufangen, hab ich verworfen. Mehrere mögliche Therapeuten hatte ich kontaktiert, keine(r) hatte Kapazitäten. Deshalb habe ich der Coachin angerufen, sie kennt mich bereits, Krankenkasse zahlt halt gar nichts dran. 

Es ist mir recht, ausserhalb der Norm zu leben, das ist meins. Und langsam kann ich es annehmen, dass ich selber mich und meine Bedürfnisse am besten kenne. 

Und jetzt gibts Apfelpfannkuchen! Das Leben will gelebt sein... YES!