Samstag, 4. Dezember 2010

Sowohl-Als-Auch-Frau

Als ich bei meinen Stilkunde-Recherchen auf Rudolf Steiner stiess, dachte ich über mein Verhältnis zur Anthroposophie nach. Im anthroposophischen Welt- und Menschenbild habe ich viele von meinen eigenen Empfindungen und Gedanken wiedergefunden. Schon als Kind war ich eine grosse Sinnsucherin. Die grossen Fragen haben mich bis heute nicht verlassen. Meine Wahrnehmung der Welt, meine Sensitivität und Hypersensibilität fanden keine ausreichende Antwort in meinem christlichen Umfeld. Oft war ich von Bildern und Reizen in meinem Inneren völlig überflutet. Erst als ich mich, mit etwa 18, mit der Esoterik zu befassen begann, konnte ich mich selber und meine Wahrnehmung besser verstehen. Doch da geriet ich auch in seltsames Fahrwasser. Bis ich von dem ganzen "Licht-und-Liebe"-Klimbim die Schnauze voll hatte und wieder ganz eigene Wege entwickelte. Noch früher, als Kind und Jugendliche halfen mir vorallem meine Indianerbücher, ich las alles was mir in die Finger kam, denn da fand ich mich und meine Art der Spiritualität und Naturliebe wieder. Zuerst entwickelte ich meine Sicht der Welt, danach fand ich sie woanders wieder.

Für mich mach vieles am Anthroposophsichen Sinn: Unter anderem die Landwirtschaft und die Medizin. Diese Art der Landwirtschaft fühlt sich für mich wirklich biologisch-dynamisch an, wenn ich in einem solchen Garten stehe, spüre ich eine starke Lebendigkeit und Beseeltheit in der Umgebung. Doch die ewige Nachbeterei von Steiners Thesen und Ideen langweilt mich. Wo ist die Verbindung zur Moderne? Wo die Freiheit des Geistes? Die Trockenheit und Humorlosigkeit mancher Anthroposophen, reizen mich zum Widerspruch. Ja, das sind Klischees - und doch ist Wahres dran! Ich bin keine, die sich in eine enge Gemeinschaft einfügen kann. Das merkte ich auch, als ich mal 3 Wochen in einer anthroposophisch geführten Psychiatrie verbrachte. Da kommt das "Über-Ich" mit seinem "Unter-Es"... sagte ich, als ich den Oberarzt meiner Station mit seinem mausgrauen Frauchen daherkommen sah. Das entlockte einem meiner Mitpatienten, in diesem Umfeld aufgewachsen, wieherndes Gelächter.

Der Klinikaufenthalt hat mir damals immerhin geholfen, meine Antidepressiva vollständig abzusetzen. Dazu wurde ich von einer Ärztin ermuntert. Dafür bin ich ihr im Nachhinein dankbar. Wenn ich heute, nach langem Abwägen, wieder Medikamente nehme, so konnte ich doch sieben Jahre ohne leben. In diesen 7 Jahren habe ich eine Menge erreicht. Mit meiner Entscheidung kann ich leben, sehr gut sogar, denn es ist eine gewachsene Entscheidung. Seither kann ich wieder träumen und Visionen für mein Leben entwicklen. Das ist das was ich brauche, denn ohne Visionen fühlt sich mein Leben kalt und leer an.

Das Sowohl-als-Auch scheint meine Lebensdevise zu sein. Es ist gut. Für mich. Sprituell und sonst im Leben bewege ich mich irgendwo zwischen allen Stühlen, zum Sitzen komme ich dabei nicht. Das ist eben mein Unterwegs-Sein. Für mich fühlt es sich genau richtig und passend an.

3 Kommentare:

  1. Steiner hat sich selbst von der anthroposophischen Gesellschaft distanziert - "es riecht ihm dort zu sehr nach Sakristei" hab ich gelesen :)

    Er war ein Magier, vielleicht hat er gerade deshalb soviele Verkopfte und dröge Nachbeter angezogen?

    Gruss, Sam

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  2. @Sam das hast du voll auf den Punkt gebracht.Wie bei Paracelsus oder auch Goethe fällt mir dazu ein,wird die Tatsache,dasses sich um Magier handelte unter den Tisch gekehrt und nur über deren "bekömmliche" mainstreamkomparible Ausfürungen gesprochen.
    Ich bin auch eine sowohl-als-auch-Frau:obwohl ich für mich selbst bei Krankheit und Problemen immer spirituellen oder alternativmedizinischen Rat suche,ließ ich mich letztes Jahr erfolgreich am Knie operiren,gebe sehr viel auf die Kunst der (Notfall)Chirurgen und konnte als ich einst in der Psychiatrie arbeitete auch durchaus den Nutzen
    von Psychopharmaka sehen.
    LG,Stela

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  3. die magische seite geht sicher oft vergessen. manchmal nehmen sich die pioniere selber auch gar nicht so wichtig, wie es dann ihre jüngerInnen tun... die ideen von pionieren werden zu schnell dogmenlastig. für mich gehört da immer der eigene kopf und das bauchgefühl dazu. wieso sich freiwillig einschränken?!

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