Das Einschlafen gestern war nicht so leicht. Ich war noch so aufgewühlt. Mein Freund erzählte mir dann eine einschläfernde Gutenachtgeschichte, bunt gemischt aus all den Tiersendungen, die wir zusammen im Fernsehen gesehen haben … Zwischendurch kicherte ich. Er ist ein lustiger Erzähler. Das half.
Heute ist er auf der Arbeit und ich mit meinen Gedanken allein. Ich fühle mich heiterer und gelöster, die Ängste sind trotzdem da. Damit sie mich nicht zu sehr fordern, schreibe ich sie lieber auf.
Vernünftig – das war ich die letzten 7 Jahre. Ich habe mich der Notwendigkeit gebeugt, eine Berufslehre anzufangen und durchzuziehen. Der vierte Anlauf. Die bisherigen Versuche scheiterten an meinen Ängsten.
Der Staat half mir dabei. Sponserte mich. Coachte mich … Die Abschlussprüfung habe ich, als fleissige Schülerin, knapp vergeigt: ungenügend. Die Angst war zu gross. Ich war blockiert. Beim Nachkorrigieren haben sich zwei übersehene Punkte zu meinen Gunsten geändert. Ich kam mit der Mindestnote durch – und war nun Berufsfrau.
Die Angst war damit nicht weg, im Gegenteil. Frühzeitig gleiste ich mit staatlicher Hilfe (Schweizerische Invalidenversicherung) eine "Nachsorge" auf. Für die Stellensuche bekam ich einen Coach an meine Seite. Er organisierte für mich Trainingsarbeitsplätze – und die Stellensuche lief nebenher. Das hat sich als die richtige Strategie herausgestellt: Kleine Schritte, ein überschaubarer Rahmen, nahe Ziele. Meine Wahnsinnsangst* blieb dadurch vorhanden, doch ich konnte mit ihr umgehen. Nach 8 Monaten zermürbender Stellensuche fand ich tatsächlich eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt. Die wollten MICH! Und dort arbeite ich nun seit 1,5 Jahren …
Die ersten paar Monate waren recht easy und ich wiegte mich in Sicherheit. Es kam gut. Ich stand zwar unter Stress, doch die Auftragslage war ruhig und die Einarbeitungszeit fruchtete.
Ich verdiente mit fast 33 Jahren zum ersten Mal in meinem Leben meinen kompletten Lebensunterhalt! Mit dem ersten Lohn lud ich meinen Freund zu Kaffee und Kuchen ein – und wir machten einen Wochenendtrip …
Danach kam ein grosses internes Projekt, an dem ich nicht direkt beteiligt war, das aber viele Kräfte in unserer Abteilung bündelte und (übermässig) forderte, so dass ich eine grössere Verantwortung und mehr Arbeit bekam. Meine Stellenprozente stockte ich von 50 auf 70% auf. Zu dem Zeitpunkt wusste ich bereits, dass dies ein Risiko ist. Jedoch war ich mit 50% zuwenig gefordert. Vor allem da sich meine Arbeitszeit auf 5 Tage die Woche erstreckt, ich also jeden Tag nur wenige Stunden dort war.
Gleichzeitig merkte ich, das der berufliche Einstieg mich mehr Kräfte gekostet hat, als ich zugeben wollte. Ich steuerte auf eine Krise zu. Da ich das länger verdrängt und vor mir selber runtergespielt hab, erlitt ich einen körperlichen Zusammenbruch. Danach stieg ich aber wieder ein.
Das grosse Projekt in der Firma artete immer mehr in eine Art Stellungskampf aus. Die Nachwehen zogen sich bis in den Frühsommer dieses Jahres. Mein direkter Arbeitskollege, mit dem ich ein 2er Büro teile, erlitt ein Burnout, vor allem seelischer Natur. Ich sass nebendran und litt mit. Es schlauchte uns beide. Die Arbeit zog er aber weiter – und ich auch. Ich bekam immer mehr Angst vor seinen Launen. Dieses Projekt ist nun durch, die nächsten stehen an. Und ich fürchte mich jeden Tag, dass es wieder so schlimm wird wie beim letzten Mal.
Am Montag habe ich Mitarbeitergespräch mit meinem Chef und ich bin gespannt, zu wie viel Klartext ich in der Lage bin. Zu verlieren habe ich nichts. Ich war die letzten Tage ganz unten. Diese ganzen Monate haben einfach einen zu grossen Tribut gefordert. Ich erwarte mir mehr Rückhalt für unser Team, intern.
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Wahnsinnsangst* = Angst vor dem Ausgeliefertsein, Angst vor Bestrafung, Angst vor Autorität, Angst vor Denkblockaden aus Stress, …