Samstag, 1. Oktober 2016

Die Egozentrik der Krankheit (Wolkenkuckucksheim)

Aus aktuelle Gegebenheit (gerade nicht in meinem eigenen Leben) musste ich darüber nachdenken, wie egozentrisch das Kranksein machen kann, gerade auch wenn Süchte und (deren Verleugnung) im Spiel sind.

Die Wahrnehmung dafür (ver)schwindet, dass ausserhalb der eigenen Nasenspitze noch eine andere Welt und andere Menschen existieren. 

Mir tut es weh für einen Menschen, der akut davon betroffen ist, dass jemand anderes sein Leben nicht in den Griff kriegt und sich weigert, sich selber zu helfen oder helfen zu lassen. Trotz Hilfesangeboten, familiärer -- und fachlicher Unterstützung -- von verschiedenen Seiten. Es kommt nichts an, es wird nichts davon wirklich genutzt. Zeit und Fristen verstreichen. Es passiert nix von Seiten des Kranken.

Und ich sehe, was es mit einem Menschen macht, der immer wieder zu helfen versucht. Ich verstehe jetzt, wie das ist wenn sich jemand komplett verweigert und was das mit dem Umfeld macht. Wenn den Helfenden die Kraft ausgeht. Weil sie sich selber auch einen Weg bahnen müssen durch den Alltag und selber auch ein Erwerbsleben haben, das Kraft und Aufmerksamkeit fordert. Und dass die Kraft irgendwann nachlässt. Und langsam auch der Wille, ständig zur Verfügung zu stehen, Behördengänge zu regeln, Arzttermine zu vermitteln, mit Vermietern zu verhandeln. Dass man es  müde wird, quasi im Alleingang diesen ganzen Rattenschwanz zu ordnen, den ein menschliches Leben eben so mit sich bringt.

Wie ermüdend es für andere ist, für die Helfenden, wenn eine Parelellwelt erichtet wurde, einst aus Not, die nun genau das tut, wofür sie wohl einst geschaffen wurde: Fluchten ermöglichen, Distanz schaffen, seine Ruhe haben. Die Not und Realität anderer kann so ausgeblendet werden. Die Verantwortung für das eigene Leben hat der Süchtige einfach wegdelegiert, so dass er es bequem hat, weil ja nix geändert werden muss. Da ist diese Trennwand zwischen dem "ich" und den "anderen", die vom Kranken irgendwann gebaut wurde. Stabil. Irgendwo im Wolkenkuckucksheim.

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Ich wünsche mir ganz viel Leben und Liebe für diese eine Person, an die ich gerade denke. Die soviel zu helfen versucht und doch langsam soweit kommt, dass sie aufgibt. Und einen Gruss sende ich auch (innerlich) ins Wolkenkuckucksheim, vielleicht gibt es da auch einen Anschluss nach draussen.

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PS: Im Nachhinein klingt es für mich sehr von oben herab. Vielleicht ist das eine bewusste Distanzierung von mir. Nicht zu nah ranlassen. Beim Schreiben war es mir nicht bewusst. Wenn ich vom "Kranken" und den "Kranken" schreibe, entsteht ein Machtgefälle, gestehe ich mir eine Macht zu, die ich nicht habe. Das wollte ich noch festhalten. Da ich oft genug "die Kranke"/"Hilfsbedürftige" war. Es bleibt bei dieser Momentaufnahme meiner Gedanken. Ich lasse den Text so stehen.



6 Kommentare:

  1. Liebe Anne,

    "Hilfe zur Selbsthilfe" anbieten und dem anderen überlassen, ob er das in Anspruch nehmen möchte oder kann - ich glaube, das ist der einzige Weg, wie man wirklich effektiv helfen kann, dort wo Hilfe gewollt ist.

    "Zwangshelfen" dagegen - ich kann mir vorstellen, dass man da soviele Muster, Barrieren und Mauern, eigene Realitäten, Gefühlsstürme usw. auslösen kann - das kann gefährlich werden. Und man selbst verausgabt sich dabei.

    Das schwierigste, was ich je lernen musste, ist, daneben zu stehen und zu akzeptieren, dass ich nicht helfen kann und dass ich den anderen gerade loslassen muss, weil es mir dabei auch nicht mehr gut geht.

    Ja, manchmal macht das so "hilflos" - aber ich glaube auch, dass anderen Menschen zu helfen, nur dann effektiv ist, wenn man den eigenen Egoismus (Ich will Dir helfen! Ich weiss was gut für Dich ist! Ich bin ein besserer Mensch, wenn ich anderen helfe!) überwinden kann. Und wenn man eben ihren freien Willen akzeptiert, selbst wenn es einen schmerzt. Das ist ein echter Lernprozess und er kann so verflixt weh tun.

    Die Menschen im Wolkenkuckucksheim - mögen sie das finden, was ihnen tatsächlich hilft oder wenigstens in ihrem Wolkenkuckucksheim irgendwie zufrieden sein.

    Liebe Grüsse
    Clara

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    1. Liebe Clara

      Ja, das mit der Hilfe zur Selbsthilfe sehe ich auch so. Das "Zwangshelfen" wie du es nennst, wird wirklich zur Ablehnung führen. Allerdings in diesem Fall wohl unvermeidlich sein, damit andere Menschen nicht mit unter gehen. Für die Helfenden: Daneben zu stehen und es mit anzusehen, ist wohl das Schwerste überhaupt.

      Liebe Grüsse
      Anne

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    2. Oh je Anne, wenn da andere mit dran hängen, dann bleibt natürlich kein anderer Weg. ich wünsche viel Kraft.

      Liebe Grüsse
      Clara

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    3. Zum Glück hängen keine Kinder mit drin. Doch andere Angehörige. Für mich habe ich den Abstand, ich bin weit weg. Doch ich wünsche mir für die betroffenen Angehörigen diese Kraft, die du wünschst! Danke für die Anteilnahme :)

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  2. Hallo Anne,
    "helfen durch nicht helfen" habe ich in der Zeit im 12-Schritte Programm kennen gelernt. Und ja es mag hart sein/wirken, aber manchmal geht es nicht anders. Manchen gelingt erst die Wendung wenn sie die Konsequenzen selber spüren.
    Und zuviel helfen, gerade bei Süchtigen endet oft in der Coabhängigkeit. Und jeder Erwachsene trägt für sich selbst die Verantwortung, also auch die Angehörigen.
    Viele Grüße

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    1. Hallo Luzia
      Danke für deine klaren Worte. "Helfen durch Nichthelfen" war mir bis jetzt kein Begriff.
      Lieber Gruss und danke für diesen Input!
      Anne

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